Ahmet Haşim:
Frankfurter Reisebericht
Übersetzung aus dem Türkischen,
Nachwort und Dichterporträt:
Beatrix Caner
100 Seiten mit s/w Bilder
gebunden
Deutsche Erstausgabe
September 2008
ISBN 393553518X
16,50 EUR
Ausschnitte aus dem Vorwort:
Der “Frankfurter Reisebericht”, im Original aus lediglich 37 Buchseiten bestehend, nimmt in der türkischen Literatur einen besonderen Platz ein: Ohne Übertreibung kann man behaupten, dass dieses Reisetagebuch in der Türkei das bekannteste literarische Werk über Deutschland bzw. Frankfurt am Main ist. Trotzdem sind fünfundsiebzig Jahre bis zur Publizierung in deutscher Sprache vergangen.
Der exakte Entstehungstag der Tagebucheintragungen ist in keiner Buchpublikation vermerkt; so sind die Daten der Veröffentlichung in der Tageszeitung "Milliyet" heute die einzige Quelle für Rückschlüsse auf die Aufenthaltsdauer des Dichters in Frankfurt. Aber aus der Publikationsankündigung in “Milliyet” wissen wir, dass sowohl der Abdruck in der Zeitung in Fortsetzungen als auch das Buch unter der Mitarbeit von Haşim Ende Dezember 1932, also nach seiner Rückkehr in die Türkei, begonnen hat.
Haşim war demnach etwa zwei Monate in Frankfurt am Main und ließ dort seinen hohen Blutdruck, sein Nierenleiden und wahrscheinlich auch seine Herzinsuffizienz behandeln. Seine Eindrücke von einem Deutschland, das sich damals fast schon in den Kriegsanfängen befand, sind mehr als die Reisetagebucheintragungen eines tod-
kranken Dichters. Sie sind ein kleiner analytischer, gleichsam ein prophetischer Zu-
kunftsausblick, eine Hommage an die guten Eigenschaften des von ihm bewunderten europäischen Landes, im gleichen Atemzug ist jedoch eine dunkle, beängstigende Vorahnung darin enthalten.
LESEPROBE:
Die deutsche Nacht
Seit Ungarn und Österreich kam es mir so vor, dass sich innen wie außen alles verändert hatte: der Service im Speisewagen, der als Gradmesser von Zivilisation gelten dürfte, ebenso die Landschaft durch die wir fuhren. All die zarten Träume symbolistischer Dichter wurden vor meinen Augen Wirklichkeit: Smaragdgrüne Felder durch die kristallklare Bäche dahinplätscherten und in der Abendsonne rosarot glänzten. An ihren Ufern die glücklichen Pappeln, deren silberne Blätter mit dem Wind spielten. Schlösser mit weißen Gardinen, die wie prachtvolle Kulissen wirkten und bunt bemalt waren. Um sie herum glücklich weidende, gesunde, goldfarbene Ochsen. Und eine weißgefleckte, hochnäsige Kuh, die sich dazu herabließ, für einen Augenblick den Kopf zu wenden und den vorbeifahrenden Zug mit einem verträumten, weiblichen Blick anzuschauen.
Die Felder auf beiden Seiten der Schienen wirkten gepflegt wie wertvolle Atlasseide, sie waren ordentlich gepflügt und durch die unterschiedliche Saat lagen verschiedenfarbige Felder nebeneinander. Sie erstreckten sich bis in die Ferne - so weit das Auge reichte.
Es war offensichtlich, dass wir in eine Welt hinein fuhren, in der der Mensch mit einem völlig anderen Leistungsvermögen ausgestattet war.
Als wir Passau, die Grenzstadt zwischen Österreich und Deutschland erreichten, nahmen alle diese Veränderungen für mich endgültig die Form eines Wunders an. Mir schien, als wäre der Zug plötzlich größer und geräumiger geworden, die Gegenstände erschienen mir reiner und edler.
Und draußen sah ich eine großartige Architektur, breit angelegte Boulevards, elektrische Uhren mit beleuchteten Ziffern, Pfeile, die die Richtung anzeigten, eine Menge großer Schriften, Reklame für Sport, Berge und Seen, Jungs und Mädchen, die von sauberen Tellern Äpfel, Birnen, Trauben und andere Früchte verkauften und die selbst genauso gesund und rosig aussahen, adrett und ordentlich angezogen waren.
Da der Zug mit vierzig minütiger Verspätung Passau erreicht hatte, doch mit normaler Geschwindigkeit diese verlorene Zeit auf deutschem Boden nicht aufzuholen war, fuhr er nach diesem Halt in der Dunkelheit mit rasanter Geschwindigkeit. Um das Land, in das wir mit einer irrsinnigen Schnelligkeit immer tiefer eindrangen, besser erkunden zu können, schaltete ich die Lichter meines Abteils aus. Mit einem atemberaubenden Höllentempo zogen nun an meinem dunklen Fenster große Bahnhöfe vorbei, die wir in wenigen Sekunden hinter uns ließen. Eine ganze Reihe von Städten lag auf unserer Strecke, es dauerte jeweils nur ein, zwei Minuten, bis wir an ihnen vorbeigerast waren. Ihre Lichter leuchteten auf und erloschen wieder - wie das Feuer eines Streichholzes. Was ich anfangs für Blitz und Donner gehalten hatte, war der unvorstellbare Lärm und die strahlende Helligkeit der Fabriken, an denen wir vorbeisausten. Mir schien, wir waren im Land der Schmiede und des heiligen, hinkenden Vulkans angekommen.
Während meine Augen in diesem blitzenden, rauchigen Rauschen gar nicht wussten, wohin sie zuerst blicken sollten, verirrten sie sich auf den armen Mond. Dieses gelbe, bedauernswerte Gesicht war das eines traurigen Fremden.
Pressestimmen zum “Frankfurter Reisebericht”€
FAZ: “Glänzend, aber innen faul”
FR: “Rituale der blauen Unendlichkeit”
Die Welt: “Man kann das Böse erkennen, wenn es kommt”
DRadio: “Am Vorabend der Nazizeit”
ANHÖREN ALS Hörbeitrag